Fragen an Peter Cadera, deutscher Musikmanager

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11 Feb. 2006 10:35 #452122 von Copperhead
Fragen an Peter Cadera, deutscher Musikmanager wurde erstellt von Copperhead
Wieso sind Konzerte so teuer? Wie entdeckt man eine Band? Was tut die Plattenindustrie für den Nachwuchs? Warum sind MTV und Viva so tot? – Einige Fragen an Peter Cadera, einen erfahrenen deutschen Musikmanager. Von Clara Ott, <a href=' www.zeit.de/online/2006/06/cadera ' target='_blank'> www.zeit.de

Peter Cadera, 53, begann seine Karriere Anfang der siebziger Jahre als Tourmanager in Köln. Nach Stationen als Product- und Promotion Manager bei der Emi Elektrola, Köln, und bei Polydor in London war er acht Jahre Director Artist & Repertoire und Prokurist bei Intercord in Stuttgart, wo er mit Pur, Right Said Fred und Depeche Mode zusammenarbeitete. Danach war er Geschäftsführer der Hamburger Plattenfirmen Castle Communications und PIAS Recordings. Seit 2003 ist er frei als Berater tätig und betreut Projekte für Edel AG in Hamburg und Alma Records, Toronto. Nebenher lehrt er Musikmanagement an der Donau-Universität in Krems, Österreich, und liefert Beiträge zu Musikfachbüchern und Radiosendungen.

Kennen Sie die Top 3 der deutschen Single-Charts, und wie beurteilen Sie die Qualität dieser Hits?

Die Reihenfolge weiß ich nicht, aber dabei sind Xavier Naidoo, Madonna und Melanie C. Die neue Madonna-Single finde ich super, weil sie wieder einen neuen und dringend benötigten Stil geschaffen hat. Die Xavier-Naidoo-Single ist halt eine Xavier-Naidoo-Single. Der Mann hat in Deutschland eine ungebrochene Popularität und zählt momentan zu den bedeutendsten Künstlern. Die Singles vom Ex-Spicegirl Melanie C. finde ich immer gut, weil die Lieder schön poppig und auch die Videos gut gemacht sind.

Sie haben als A&R-Manager die deutsche Band Fettes Brot unter Vertrag genommen, die Fantastischen Vier jedoch abgelehnt. Woran erkennt man die Chancen einer Band, und wie kann man sich täuschen?

Die Fantastischen Vier waren eine der ersten Gruppen, die auf Deutsch zu rappen begannen. Einer von meinen Leuten hat damals davon Wind bekommen. Ich war danach bei einem Konzert in einer Stuttgarter Disko, wo die Fantas vor hundert Mann spielten, die größtenteils ihre eigenen Freunde waren. Der Auftritt und ihre Demobänder haben mich jedoch nicht sonderlich vom Hocker gehauen. Zudem forderten die Jungs extrem viel Geld für eine Band und eine Musikrichtung, die zu der Zeit nicht erprobt war. Ich fand das zu risikoreich. Die Fantastischen Vier gingen dann zu Sony und schafften mit der zweiten oder dritten Platte den Durchbruch. Eine Band zu unterschätzen, das passiert in meinem Job immer wieder. Aber solange man genug Erfolgreiches erkennt und unter Vertrag nimmt, kann man damit leben.

Als man uns die Band Fettes Brot anbot, war deutscher Rap schon populärer. Ihre Bänder überzeugten auf Anhieb und wir boten ihnen sofort einen Vertrag an. Bei meiner ersten Begegnung mit König Boris sagte er: „Peter, wir sind Bravo-kompatibel!“ Das hat mir imponiert, weil sie sich Gedanken über den Umgang mit einem Teenie-Medium machten. Das können nur wenige, wie Die Toten Hosen oder Die Ärzte seit Jahren beweisen. Ein wohlüberlegter Umgang mit diesem speziellen Medium bringt neue Kundschaft. Sehr viele andere Künstler, die sich für sehr glaubwürdig halten, wollen nichts mit der Bravo zu tun haben.

Erklären Sie mal ein Phänomen wie das Techno-Trio Scooter, das es seit zehn Jahren gibt und jetzt wieder auf Tour geht. Warum halten sich diese Musiker so beständig?

Das sind einfach die letzten Ritter des Hardcore-Techno-Pop. Sie holen auf ihre alten Tage Goldplatten und haben Nummer-Eins-Hits in Australien, England und Russland. Solange der Frontmann HP kein Problem damit hat, den Berufsjugendlichen zu geben, wird es sie noch lange geben. Wie die Rolling Stones! Die gehen jetzt auf die Siebzig zu, und es gibt keine Band, die auf Tour so viel Geld verdient. Die Stones machen das mit einer einmaligen und einzigartigen Souveränität. Auch The Who können es immer noch mit einer neuen Band wie den Strokes aufnehmen, wie sie beim Live 8-Konzert letztes Jahr bewiesen haben. Das ist nicht peinlich, wenn die auftreten. Duran Duran sind dagegen richtige Schlafpillen geworden.

Wie real ist das Klischee vom Produzenten, der sich in Karaokebars herumtreibt und Talente entdeckt? Schicken Nachwuchsbands wirklich noch Demobänder?

In Karaokebars gehe ich nicht. Klar findet man da mal jemanden, der gut singen kann. Aber es gibt zu viele Karaokebars, so viele Talentscouts gibt es gar nicht. Bei Edel Records bekomme ich täglich zehn bis zwanzig neue Demobänder und Künstlerangebote auf den Tisch. Die Wahrscheinlichkeit, in diesem Stapel etwas Gutes zu finden, gleicht der Stecknadelsuche im Heuhaufen, weil die meisten dieser Leute ihre Musik ungefiltert im Kinderzimmer, am Klavier oder im Proberaum aufnehmen. Deutlich verlässlicher sind Quellen wie befreundete Musiker, Musikverleger oder Produzenten.

Wie viel Wert legt Edel Records auf die Förderung von Nachwuchsgruppen?

Wie sind nicht speziell darauf fokussiert. Unsere Strategie liegt eher darin, mit Künstlern zu arbeiten, die schon mal erfolgreich waren und vielleicht in Vergessenheit geraten sind. Siehe Lisa Stansfield, die lange Zeit überhaupt keine Platte veröffentlicht hatte und jetzt durch die gemeinsamen Aktivitäten wieder eine Künstlerin mit Goldstatus ist. Diese Art der Zusammenarbeit ist weniger riskant, als ausschließlich neue Künstler unter Vertrag zu nehmen. Eine neue Gruppe oder einen neuen Künstler aufzubauen bedeutet ein enorm hohes Investment, zumeist in der Region von 150.000 bis 200.000 Euro. Der deutsche Markt hat sich innerhalb der vergangenen vier bis fünf Jahre fast halbiert. Von daher muss man neue Künstler sehr sorgfältig auswählen.

Auf welche Weise versuchen Plattenfirmen unbekannte Künstler zu bewerben?

Es kommt natürlich darauf an, in welchem musikalischen Genre sich der Künstler bewegt, aber entscheidend ist, dass man einen starken und fokussierten Marketing- und Promotion Mix auf die Beine gestellt bekommt. Für bestimmte Musikrichtungen wie zum Beispiel Alternative oder Independent sind Internet, College Radio, Live Konzerte und natürlich die wegweisenden Musikzeitschriften wichtig. Ein gutes Beispiel dafür ist die Entwicklung der englischen Band Art Brut. Mit denen hat niemand gerechnet. Eine klasse Platte mit super Texten, da ist Lebensfreude drin, das rappelt und macht gute Laune. Bei der Hälfte der Songs kann man nach dem ersten Hören mitsingen und die Band hat ein sympathisches Rock’n’roll-Macho-Gehabe. Die Presse war da ein ganz wichtiger Multiplikator in hymnischen „The next Big Thing“-Rezensionen. Aber auch die Mund-zu-Mund-Propaganda ist nie zu unterschätzen.

Was ist das Erfolgsrezept der von Teenagern bejubelten Newcomer-Band Tokio Hotel?

Das ist eine der ersten Teenie-Bands, die auf eine jüngere und deutsche Version von bekannten Bands wie The Rasmus und HIM machen. Ein gut gelungenes und erfolgreiches Konzept, weil die Jungs optisch was hergeben und passable, handwerklich gute Songs abliefern. Auf diese Weise erreichen sie Kids, die gerade in die Pubertät kommen. Doch Tokio Hotel muss den Erfolg auch erstmal verarbeiten, und die Jungs mit ihren 14, 15 Jahren müssen auf dem Boden bleiben. Sie spielen aufgesetzte Rollen. Was sie erleben, müssen sie erst einmal verdauen, und wahrscheinlich werden sie irgendwann mit Drogen konfrontiert – wie jeder Jugendliche eben. Die Eltern müssen sehen, in welcher Situation sich ihre Kinder befinden und als Erziehungsberechtigte so gut es geht Acht geben. Das ist ein Sack Flöhe, den man da auf der Tour betreut. Das wäre ein Thema für einen Psychologen.

Interessant an diesem Phänomen ist aber, dass die meiste Musik heutzutage relativ harmlos ist. Viele Väter haben rebellischere Musik im Schrank als ihre Kinder. Vor zehn, fünfzehn Jahren war Deathmetal populär. Dessen Fans haben nun selber Kinder. Wenn der Sohn dann mit schwarzgefärbtem und toupiertem Haar, lackierten Fingernägeln und einer Scheibe von Tokio Hotel ankommt, dann lacht der Vater doch nur, holt seine alten Hardcore-Deathmetal-Scheiben raus und zeigt seinem Kind, was richtig harte Musik ist.

Warum geben Konsumenten 50 Euro für Konzertkarten aus, weigern sich aber, für 15 Euro ein Album zu kaufen?

Wer drei Platten von einem Künstler hat, geht mit größerer Wahrscheinlichkeit zu einem Konzert, kauft sich aber nicht zwangsläufig auch die neueste CD. Für viele ist ein Event deswegen wichtig, weil sie danach sagen können: „Ich war dabei“.

Wieso werden Konzerte immer teuer?

Die Dimensionen haben sich verändert. Wenn die Rolling Stones kommen, dann sieht man sie in einer Stadt, während an zwei anderen Orten die nächsten Konzerte vorbereitet werden. Deren Entourage umfasst locker 300 Mann, die auch an auftrittslosen Tagen bezahlt werden müssen. Vor dreißig Jahren gab es ein paar Lampen, einen Stroboskopblitz und eine Diskokugel. Heute sind es Megaspektakel, die auch noch behördlichen Auflagen genügen müssen. 190 Euro für ein Stones-Ticket ist teuer, aber die Leute sind bereit, das auszugeben.

Sie haben einen Beitrag in dem Buch Deutschlandquote im Radio geschrieben. Wie gut funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Plattenfirmen und Radiostationen?

Die Diskussion um deutsche Musik und Quote ist inzwischen abgeebbt. Eine staatlich verordnete Quote muss nicht sein. Auf der anderen Seite ist im Rundfunk eine Menge Einheitsbrei zu hören. Wer im Auto von Hamburg nach München fährt, hört keinen Unterschied zwischen einem Sender aus Hessen, Nordrhein-Westfalen und Bayern. Die Radiostationen sollten nicht nur auf Einschaltquoten achten. Ein beispielhafter Sender ist Radio Eins Live vom WDR, der auch mal junge Bands spielt. Deutschlandradio Kultur bringt sehr gute Musikbeiträge und aktuelle Platten. Vor allem aber mag ich die englische Radiostation BFBS, die man über Kabel empfangen kann.

Warum ist das Musikfernsehen so tot?

Die guten Sendungen muss man mit der Lupe suchen. Stefan Raab nimmt nach wie vor gern Musiker, die ihm gefallen, in seine Show TV Total. Das ZDF holt mit Wetten, dass…? alle großen Musiker von Anna Netrebko bis zu Robbie Williams. Es hilft aber meistens schon, wenn man bei MTV und VIVA auf Power Play und Hot Rotation ist. Auch kleine Nischensender wie hier im Norden Tide TV machen hin und wieder gutes Musikfernsehen.

In Deutschland gibt es die meisten DSL-Anschlüsse weltweit und günstige Flatrates, was die Musikfreunde dazu reizt, Stücke kostenlos aus dem Netz zu laden. Hat die Musikindustrie die Möglichkeiten des Internets unterschätzt und womöglich verschlafen?

Einfach zu behaupten, die Musikindustrie habe das Internet und seine Möglichkeiten verschlafen, kann man so nicht sagen. Zum einen galt es, rechtliche Grundlagen zu schaffen; viele Verträge mit Künstlern stammen aus Zeiten, in denen noch niemand ans Internet dachte. Das Internet agiert weltweit, das Musikgeschäft ist jedoch recht regional strukturiert. Jedes Land hat zum Beispiel seine eigene Verwertungsgesellschaft wie in Deutschland die Gema, da musste man auch sehr viele bürokratische Hindernisse überspringen und das braucht Zeit. Einfacher war es in den USA: Da kam Apple mit der Software iTunes und dem MP3-Player iPod raus und musste nur die zwei lokalen Verwertungsgesellschaften mit ins Boot holen. Dadurch übten sie natürlich Druck aus und beschleunigten so auch die Entwicklung in Europa.

Es gab sicher Felder, in denen die Industrie kreativer und flexibler hätte reagieren können und müssen, um sich wichtige, neue Geschäftsfelder nicht nehmen zu lassen. Aber andererseits muss man auch sehen, dass keine andere Branche derart grundlegend vom Internet geschüttelt wurde wie die Musikbranche.

Sind die Hauptgründe für den Marktrückgang tatsächlich die Raubkopien und illegalen Downloads?

Nein, nicht nur, denn die Verbraucher geben ihr Geld inzwischen anders aus. Ein 15-Jähriger mit 50 Euro Taschengeld finanziert sich zuerst sein Handy, um in seiner Clique akzeptiert zu werden. Die Identifikation mit Musik ist nicht mehr so hundertprozentig, wie sie es vor dreißig Jahren war. Jetzt gibt es Computerspiele, Playstations, Klingeltöne.

Kommen wir zu einem aktuellen Musikphänomen im Fernsehen, der TV-Show Deutschland sucht den Superstar. Wie beurteilen Sie die Urteilskraft Ihrer Branchenkollegen in der Jury?

Ich kenne Heinz Henn schon lange und auch Sylvia Kolleck und finde sie kompetent. Selbstverständlich müssen sie die Sendung spannend gestalten und das Publikum reizen. Das ist schließlich eine Fernsehsendung. Wenn alle Kandidaten super singen könnten, dann wäre das langweilig. Deshalb muss Dieter Bohlen den Buhmann spielen, und mancher Kandidat gerade so mit letzter Kraft eine Runde weiter kommen.

Rückblickend betrachtet, hat zumindest in der deutschen Version der Show kein Gewinner langanhaltenden Erfolg gehabt. Der in der englischen Show zweitplatzierte Teilnehmer Will Young oder die amerikanische Gewinnerin Kelly Clarkson haben es dagegen geschafft und sind eigenständige Künstler. In Deutschland bekommt man das Gefühl, die Teilnehmer wollen nur einmal ins Fernsehen und dann ihre 15 Minuten berühmt sein.



Sollte man sich bislang noch über irgendetwas gewundert haben... :kopf1: :sick: :death:

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