Vinylmania
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03 Nov 2011 16:42 - 08 Okt 2014 11:13 #854759
von Charles
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Schallplatten sind wie Katzen: Eine ist ein Freund, tausend sind eine Last. Der Arte-Film "Vinylmania" begibt sich auf die Spur von Sammlern, DJs und anderen Liebhabern der Vinylscheibe. Die ist längst von den Toten auferstanden - die Verkaufszahlen steigen deutlich.
Was für eine Katastrophe! Der Alptraum eines jeden Sammlers wird wahr in einer Tiefgarage in Südfrankreich. Über den Betonboden verstreut liegen verdreckte Plattencover, wellig geworden, zu Batzen zusammengeklebt, Tausende. Chris de Gan, Besitzer des Lagerraums, steht davor im Jimi-Hendrix-T-Shirt und erzählt, es habe einen Wasserschaden gegeben; 40.000 Schallplatten sind hin. "Ist nicht so schlimm", sagt er, "ich hab' noch dreimal so viele." Nach einer kurzen Pause: "Doch, es ist schlimm." Was er tun werde? "Weinen."
Es ist der traurigste Moment eines Dokumentarfilms, der ansonsten voller Optimismus steckt, voller trotziger Hoffnung, dass ein totgesagtes Medium ganz und gar nicht tot ist: die Vinyl-Schallplatte. Paolo Campana hat ihn gedreht, ein Filmemacher und DJ aus Turin, der sagt, seine Liebe zu den schwarzen Scheiben rühre daher, dass ihm seine Mutter als Kleinkind immer mit Mozart-Platten weckte.
Für "Vinylmania. Das Leben in 33 Umdrehungen pro Minute" ist er um die halbe Welt gereist, um andere Vinyl-Enthusiasten aufzusuchen. Die betreiben Plattenläden wie Rough Trade in London, Amoeba in San Francisco oder Space Hall in Berlin; sie sind DJs wie The Karminsky Experience oder The Millionaire; sie entwerfen Plattencover wie Peter Saville (Factory Records) oder Winston Smith (Dead Kennedys, Green Day).
Absatzplus von 20 Prozent
Oder sie sind einfach nur Sammler, wie Chris, der Mann mit dem Wasserschaden. Er steht für die Manie im Titel "Vinylmania": Paolo Campana begleitet ihn über eine Plattenbörse, filmt ihn, wie er hektisch durch die Kisten grabbelt, steht um vier Uhr morgens mit ihm auf, um rechtzeitig auf dem Flohmarkt zu sein, wenn die Händler ihre Ware gerade aus den Kofferräumen packen.
Chris sagt, er kaufe erstmal und sortiere später - die Folge ist ein Labyrinth aus Plattenstapeln in seiner Wohnung. Was für ein Kontrast zu den wohlsortierten Musikzimmern bekannter DJs, die das deutsche Musikmagazin "Groove" in einer wunderbaren Fotoserie zeigte. "Man sagt, eine Katze sei ein Freund, aber hundert Katzen eine Last", sagt der angenehm selbstironische Platten-Messie im Film: "Ich habe tausend."
Ja, Schallplatten nehmen viel Platz weg, sie sind schwer und sie können verkratzen. Aber Campana und seine Interviewpartner schwören trotzdem auf sie: "CDs sind eine Lüge", sagt zum Beispiel der Mod-Veteran Eddie Piller, Londoner DJ und Gründer des Labels Acid Jazz: "Mit einer CD spielst du die Kopie einer Schallwelle ab", während die Rillen der Vinylplatte die Schallwelle direkt physisch nachbildeten.
Wie das geschieht, wird in "Vinylmania" ebenfalls gezeigt: Der Film macht Station bei der tschechischen Firma GZ. In den neunziger Jahren, als wirklich nur schrullige Nostalgiker noch Vinyl zu hören schienen, war das Presswerk ein Geheimtipp, den man sich zuraunte. Heute ist es das weltweit größte Unternehmen seiner Art und presst Millionen Scheiben aus dem schwarzen Plastik.
5000 Euro für eine Wundertechnologie
Das Comeback der Schallplatte, von dem Paolo Campana in seiner filmischen Liebeserklärung so eindrucksvoll anekdotisch erzählt, ist in Zahlen belegt: In Deutschland verzeichnete die Vinyl-LP 2010 laut Bundesverband Musikindustrie ein Absatzplus von 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr, in den USA wuchs der Umsatz sogar um 44 Prozent.
Doch in absoluten Zahlen ist Vinyl immer noch ein Minderheitending. Und wer es kauft, das lässt "Vinylmania" erahnen - eine einzige Frau kommt zu Wort, und die Männer sind alle mehr oder weniger weit über dreißig. Eddie Piller, der mit etwas verwittertem Gesicht an seinem Nachmittags-Pint nippt, sagt voller Verve: "Du kannst einen Download nicht besitzen." Aber vielleicht ist das den jugendlichen Musikhörern, die im "Age of Access" (Jeremy Rifkin) groß geworden sind, gar nicht mehr so wichtig - Zugang zählt, Besitz ist was fürs Bürgertum?
Campana lässt sich in Japan das Ultimum an Klangqualität und Bedienkomfort vorführen, das sich ein Vinyl-Aficionado vorstellen kann: den Laser-Plattenspieler von ELP. Statt mit einer Nadel wird die Schallplatte hier mit einem Laser abgetastet, mit allen Skip- und Suchmöglichkeiten der CD, aber eben mit dem warmen Analogklang, der sich nicht durch wiederholtes Abspielen abnutzt. Etwa 1500 Kunden in aller Welt hat der freundliche, ältere Herr von ELP in seinem Hängeregister (der Zuschauer erhascht den Namen "Jarrett, Keith") - sie haben mindestens 5000 Euro gezahlt für die Wundertechnologie.
"Nur schade, dass die Platte im Gerät verschwindet", sagt Campana im Off-Kommentar dazu - und schneidet dann auf den Scratch-Künstler DJ Kentaro, einen ehemaligen Discjockey-Weltmeister, der an zwei herkömmlichen (aber goldenen!) Technics-Plattenspielern zaubert.
"Vinylmania" ist sich seines grundsätzlich nostalgischen Ansatzes bewusst, aber lässt sich dadurch nicht beirren. Das macht die Dokumentation zu einem großen Fernsehvergnügen. Derzeit sammelt Paolo Campana auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter.com Unterstützer, um eine spezielle DVD-Edition seines gelungenen Films zu finanzieren. Ja, richtig: auf DVD, nicht auf Super 8!
"Vinylmania", Arte, 3. November, 22.50 Uhr
Wiederholung: 14.11.2011 - 10:05 Uhr und 23.11.2011 - 03:30 Uhr
„Zeit, die man zu verschwenden genießt, ist nicht verschwendet.“ — John Lennon
Vinylmania wurde erstellt von Charles
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Schallplatten sind wie Katzen: Eine ist ein Freund, tausend sind eine Last. Der Arte-Film "Vinylmania" begibt sich auf die Spur von Sammlern, DJs und anderen Liebhabern der Vinylscheibe. Die ist längst von den Toten auferstanden - die Verkaufszahlen steigen deutlich.
Was für eine Katastrophe! Der Alptraum eines jeden Sammlers wird wahr in einer Tiefgarage in Südfrankreich. Über den Betonboden verstreut liegen verdreckte Plattencover, wellig geworden, zu Batzen zusammengeklebt, Tausende. Chris de Gan, Besitzer des Lagerraums, steht davor im Jimi-Hendrix-T-Shirt und erzählt, es habe einen Wasserschaden gegeben; 40.000 Schallplatten sind hin. "Ist nicht so schlimm", sagt er, "ich hab' noch dreimal so viele." Nach einer kurzen Pause: "Doch, es ist schlimm." Was er tun werde? "Weinen."
Es ist der traurigste Moment eines Dokumentarfilms, der ansonsten voller Optimismus steckt, voller trotziger Hoffnung, dass ein totgesagtes Medium ganz und gar nicht tot ist: die Vinyl-Schallplatte. Paolo Campana hat ihn gedreht, ein Filmemacher und DJ aus Turin, der sagt, seine Liebe zu den schwarzen Scheiben rühre daher, dass ihm seine Mutter als Kleinkind immer mit Mozart-Platten weckte.
Für "Vinylmania. Das Leben in 33 Umdrehungen pro Minute" ist er um die halbe Welt gereist, um andere Vinyl-Enthusiasten aufzusuchen. Die betreiben Plattenläden wie Rough Trade in London, Amoeba in San Francisco oder Space Hall in Berlin; sie sind DJs wie The Karminsky Experience oder The Millionaire; sie entwerfen Plattencover wie Peter Saville (Factory Records) oder Winston Smith (Dead Kennedys, Green Day).
Absatzplus von 20 Prozent
Oder sie sind einfach nur Sammler, wie Chris, der Mann mit dem Wasserschaden. Er steht für die Manie im Titel "Vinylmania": Paolo Campana begleitet ihn über eine Plattenbörse, filmt ihn, wie er hektisch durch die Kisten grabbelt, steht um vier Uhr morgens mit ihm auf, um rechtzeitig auf dem Flohmarkt zu sein, wenn die Händler ihre Ware gerade aus den Kofferräumen packen.
Chris sagt, er kaufe erstmal und sortiere später - die Folge ist ein Labyrinth aus Plattenstapeln in seiner Wohnung. Was für ein Kontrast zu den wohlsortierten Musikzimmern bekannter DJs, die das deutsche Musikmagazin "Groove" in einer wunderbaren Fotoserie zeigte. "Man sagt, eine Katze sei ein Freund, aber hundert Katzen eine Last", sagt der angenehm selbstironische Platten-Messie im Film: "Ich habe tausend."
Ja, Schallplatten nehmen viel Platz weg, sie sind schwer und sie können verkratzen. Aber Campana und seine Interviewpartner schwören trotzdem auf sie: "CDs sind eine Lüge", sagt zum Beispiel der Mod-Veteran Eddie Piller, Londoner DJ und Gründer des Labels Acid Jazz: "Mit einer CD spielst du die Kopie einer Schallwelle ab", während die Rillen der Vinylplatte die Schallwelle direkt physisch nachbildeten.
Wie das geschieht, wird in "Vinylmania" ebenfalls gezeigt: Der Film macht Station bei der tschechischen Firma GZ. In den neunziger Jahren, als wirklich nur schrullige Nostalgiker noch Vinyl zu hören schienen, war das Presswerk ein Geheimtipp, den man sich zuraunte. Heute ist es das weltweit größte Unternehmen seiner Art und presst Millionen Scheiben aus dem schwarzen Plastik.
5000 Euro für eine Wundertechnologie
Das Comeback der Schallplatte, von dem Paolo Campana in seiner filmischen Liebeserklärung so eindrucksvoll anekdotisch erzählt, ist in Zahlen belegt: In Deutschland verzeichnete die Vinyl-LP 2010 laut Bundesverband Musikindustrie ein Absatzplus von 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr, in den USA wuchs der Umsatz sogar um 44 Prozent.
Doch in absoluten Zahlen ist Vinyl immer noch ein Minderheitending. Und wer es kauft, das lässt "Vinylmania" erahnen - eine einzige Frau kommt zu Wort, und die Männer sind alle mehr oder weniger weit über dreißig. Eddie Piller, der mit etwas verwittertem Gesicht an seinem Nachmittags-Pint nippt, sagt voller Verve: "Du kannst einen Download nicht besitzen." Aber vielleicht ist das den jugendlichen Musikhörern, die im "Age of Access" (Jeremy Rifkin) groß geworden sind, gar nicht mehr so wichtig - Zugang zählt, Besitz ist was fürs Bürgertum?
Campana lässt sich in Japan das Ultimum an Klangqualität und Bedienkomfort vorführen, das sich ein Vinyl-Aficionado vorstellen kann: den Laser-Plattenspieler von ELP. Statt mit einer Nadel wird die Schallplatte hier mit einem Laser abgetastet, mit allen Skip- und Suchmöglichkeiten der CD, aber eben mit dem warmen Analogklang, der sich nicht durch wiederholtes Abspielen abnutzt. Etwa 1500 Kunden in aller Welt hat der freundliche, ältere Herr von ELP in seinem Hängeregister (der Zuschauer erhascht den Namen "Jarrett, Keith") - sie haben mindestens 5000 Euro gezahlt für die Wundertechnologie.
"Nur schade, dass die Platte im Gerät verschwindet", sagt Campana im Off-Kommentar dazu - und schneidet dann auf den Scratch-Künstler DJ Kentaro, einen ehemaligen Discjockey-Weltmeister, der an zwei herkömmlichen (aber goldenen!) Technics-Plattenspielern zaubert.
"Vinylmania" ist sich seines grundsätzlich nostalgischen Ansatzes bewusst, aber lässt sich dadurch nicht beirren. Das macht die Dokumentation zu einem großen Fernsehvergnügen. Derzeit sammelt Paolo Campana auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter.com Unterstützer, um eine spezielle DVD-Edition seines gelungenen Films zu finanzieren. Ja, richtig: auf DVD, nicht auf Super 8!
"Vinylmania", Arte, 3. November, 22.50 Uhr
Wiederholung: 14.11.2011 - 10:05 Uhr und 23.11.2011 - 03:30 Uhr
Quelle: Spiegel.De
„Zeit, die man zu verschwenden genießt, ist nicht verschwendet.“ — John Lennon
Letzte Änderung: 08 Okt 2014 11:13 von Charles.
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- Donald
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03 Nov 2011 17:36 #854764
von Donald
Donald antwortete auf Vinylmania
Lt. arte.tv und onlinetvrecorder scheint der Film bereits um 22:25 anzufangen.
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- Vincent-The-Falcon
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05 Nov 2011 00:23 #854922
von Vincent-The-Falcon
Vincent-The-Falcon antwortete auf Vinylmania
Kann man jetzt online angucken.
<a href='videos.arte.tv/de/videos/vinylmania-4234866.html' target='_blank'>videos.arte.tv/de/videos/vinylmania-4234866.html
<a href='videos.arte.tv/de/videos/vinylmania-4234866.html' target='_blank'>videos.arte.tv/de/videos/vinylmania-4234866.html
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- Laser-Freak
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05 Nov 2011 10:12 #854942
von Laser-Freak
<a href='www.arte.tv/de/woche/244,broadcastingNum...ek=46,year=2011.html' target='_blank'>ARTE
Laser-Freak antwortete auf Vinylmania
(Herkömmlich) alternativ dazu kann man sich ja auch der Wiederholungen im November bedienen.... online angucken.
<a href='www.arte.tv/de/woche/244,broadcastingNum...ek=46,year=2011.html' target='_blank'>ARTE
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- Roqui
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05 Nov 2011 12:33 #854952
von Roqui
Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten!
Roqui antwortete auf Vinylmania
(Sehr) geiler Film. [Auch] (lustig|cool) wie dem Kind (die) L.A. Woman weggeschnappt wird.

Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten!
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