file DIETER

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18 Nov. 2002 03:45 #23642 von edde
DIETER wurde erstellt von edde

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Seit einem knappen Jahr lebte er wieder im Untergrund. Nur über seinen Anwalt war <span style='color:blue'>Dieter Kunzelmann</span> zu erreichen. Eine Gefängnisstrafe von einem Jahr stand ihm bevor, und daß er sie nicht antreten würde, hatte er frühzeitig wissen lassen. Den Wagen des Regierenden Bürgermeisters von Berlin . . . hatte er mit einem Ei so getroffen, daß eine Scheibe splitterte; bei der folgenden Gerichtsverhandlung gelang es ihm, ein weiteres Ei auf [des Bürgermeisters] Kopf zu zerschlagen.

Eine lakonische Todesanzeige fand sich in der gestrigen Ausgabe der Berliner Zeitung: "nicht nur über sein Leben, auch über seinen Tod hat er frei bestimmt: Dieter Kunzelmann (1939-1998)". Kaum einer seiner alten Freunde möchte sich in der Vorosterzeit schon auf den Tod des Eierwerfers festlegen. Lorenz Jäger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Nr. 80 vom 4. April 1998



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Eines ist klar. Wenn von Revolution und Sex in einem Atemzug geredet wird, dann sind die 68er gemeint. Noch immer hängt ihnen etwas Verruchtes, Rebellisches an, obwohl sie längst Unternehmer oder Beamte auf Lebenszeit sind, mit dem Ehering am Finger, Kindern auf der Uni und dem Zweitwagen vor der Tür. Das hatten sie sich vor 30 Jahren anders vorgestellt: Persönliches Eigentum galt als Verbrechen an der Gesellschaft, die spießige Ehe sollte der eifersuchtslosen freien Liebe weichen, der demokratische Staat in eine Räterepublik verwandelt werden. Dafür gingen sie auf die Straße, klopften sich mit den Ordnungshütern, schockierten als Nackedeis ihre Eltern und Großeltern.

Der nackte Hintern wurde zum Symbol des Wiederstands: Richter bekamen ihn zu sehen, Polizisten und Professoren sowieso. Selbst die Grenzschützer der DDR starrten plötzlich auf eine Reihe entblößter Ärsche. Ein Bild ging um die Welt: Frauen, Männer und Kinder der "Kommune1" bei einer Hausdurchsuchung von der Polizei nackt an die Wand gestellt. Skandal! Natürlich war das Foto eine Idee der Kommunarden um Fritz Teufel, Rainer Langhans und Dieter Kunzelmann. Sie machten die Kommune 1, die Urzelle der Wohngemeinschaft, zum Mythos. Weltruhm erlangten sie bereits 1967, als sich der amerikanische Vizepräsident Hubert Humphrey zu einem Staatsbesuch in Berlin ansagte. Die Kommunarden planten ein Pudding-Attentat auf ihn. Das Vorhaben flog auf, wurde von der Bild-Zeitung zum Bombenanschlag aufgepusht, die Verschwörer festgenommen.

Blamiert war die staatliche Obrigkeit, als sich bald herausstellte, daß der Sprengstoff tatsächlich nur aus Quark und Pudding bestand. Viel makabrer war eine Inszenierung wenige Wochen danach. Bei einem Kaufhausbrand in Brüssel kamen 300 Menschen ums Leben. Die Kommunarden verteilten Flugblätter mit Sätzen wie: "Neue Demonstrationsformen in Brüssel erstmals erprobt" oder "Wann brennen die Berliner Kaufhäuser?", damit auch die Deutschen das "knisternde Vietnamgefühl" erleben könnten. Gesteigert wurde die Faszination der Kommune 1, in der neben Politik und Action viel Platz war für Experimente mit Haschisch, LSD und freier Liebe, durch den Einzug des Fotomodells Uschi Obermaier. Sie war die Claudia Schiffer der 60er Jahre und avancierte zur Apo-Queen. Tagsüber stand sie für die Titelseiten der Modemagazine vor der Kamera, abends ließ sie sich nackt mit ihren K 1-Männern ablichten. Sie finanzierte im Alleingang das Treiben der Kommune.

Diese entpolitisierte sich zunehmends, nahm hedonistische Züge an. "Meine Orgasmusschiwerigkeiten sind mir wichtiger als Vietnam", soll Dieter Kunzelmann mal gesagt haben. Die Kommune 1 war das Vorbild für viele andere Wohngemeinschaften, in denen alternatives Zusammenleben erprobt wurde. In ihnen fand die sexuelle Revolution statt, neue pädagogische Formen wurden entwickelt. Kinderläden versuchten sich in antiautoritärer Erziehung, Kinder sollten nicht länger durch Hiebe diszipliniert werden. In den Wohngemeinschaften galt das Gebot der Gleichberechtigung: Auch Männer mußten die Kloschüssel schrubben und Windeln waschen, während die Frauen in den Hörsälen über Marx und Mao diskutierten.

Die Kommunen sollten zur Keimzelle einer neuen Gesellschaft werden, in der es gewaltfrei, gleichberechtigt und selbstbestimmt zugeht. Die Vision der Räterepublik schwirrte durch die Köpfe. Das theoretische Grundgerüst lieferte Herbert Marcuse, der die Lehren von Karl Marx und Siegmund Freud zusammenführte. In einfachen Worten: Nur der seine Sexualität auslebende Mensch wird zum mündigen Bürger, und genau dies versucht der Obrigkeitsstaat im Dienste des Kapitals zu verhindern.

In diesem Sinne war alles revolutionär, was "anders" war: Minirock, lange Haare, Rockmusik. Diese äußerlichen Zeichen der Rebellion nahm die deutsche Jugend begeistert an. Selbst im kleinsten Dorf tauchten "Gammler" auf, spielte die Jugendmusikkapelle Beatles-Songs, bräunten sich im Freibad Mädchen mit entblößter Brust. Während die politische Revolution in Vergessenheit geriet, feierte die Subkultur ihren Triumph: Sie wurde zur Kultur des Bürgertums.

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21 Nov. 2002 00:33 #24864 von Roqui
Roqui antwortete auf DIETER

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Studentenführer Fritz Teufel bei seiner Festnahme durch Schutzpolizisten
Bei einer Demonstration während des Berliner Juristenballs wird der Studentenführer und Mitbegründer der Kommune 1, Fritz Teufel, von Berliner Schutzpolizisten vorläufig festgenommen.
West-Berlin, 6. Januar 1967


<span style='color:red'>I'm in love with uschi obermeier!!!

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Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten!

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21 Nov. 2002 08:20 #24877 von Viva Las Vegas
Viva Las Vegas antwortete auf DIETER
I'm In Love With Gina Wilde:

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Man, das ist schwierig, ein Bild zu finden, auf dem die was an hat! :grin:

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21 Nov. 2002 08:28 #24880 von Big Hunk
Big Hunk antwortete auf DIETER
Ach, daß ist die Wilde!

Mit dem Kleid hab' ich sie jetzt gar nicht erkannt...

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23 Nov. 2002 13:53 #25870 von Roqui
Roqui antwortete auf DIETER
<span style='font-size:14pt;line-height:100%'>Big Brother und die Kommune 1 – ein Vergleich</span>

von Christa Ritter und Rainer Langhans

Jetzt, kurz vor dem Ende der zweiten Staffel von Big Brother, sieht man, wie sehr dieses Experiment dem ähnelt, was wir damals mit der Kommune 1 in Berlin demonstrierten: Es geht um die Kompetenz in Bezug auf sich selbst: sich selbst treu zu sein, das wahre Gesicht zu zeigen. Denn erst aus dieser Position kann man mit den anderen verhandeln. "Zeig mir dein Gesicht, zeig mir, wer du wirklich bist", das ist ein sehr guter Werbespruch. Das war auch unser Ideal damals 1968. In Big Brother wird das durch Langeweile im doppelten Sinn erreicht. Der Zuschauer hat viel Zeit zu beobachten – und es sind gerade die ereignisarmen 'langweiligen‘ Momente, die menschliche Komplexität vermitteln. Das ist nichts anderes als ein therapeutischer Prozeß durch Millionen Therapeuten ausgeübt.

In der ersten Staffel ging es noch mehr um Männer-Spaß, ihre Stars waren Jürgen und Zlatko. In der zweiten Staffel geht es bereits um Kükenpower, junge Frauen, Männer am Rand, hilflos. Weil es im täglichen Leben vor lauter Ablenkungen keine Möglichkeit mehr gibt zur Sinnsuche, findet diese nun im Fernsehen statt. Vor der Kamera beginnt die Neuverhandlung mit Dir selbst: Wie will ich leben? Wie funktioniert eine Zweierbeziehung, wie bildet sich eine Gesellschaft? Das TV-Medium ist der Veranstalter dieser Suche nach sich selbst - ein sozialer Nullraum. Draußen kommt man kaum mehr nach mit den äußeren Anforderungen – durch Freunde, durch Arbeit, durch das gesamte Umfeld. Im Container ist alles anders. Plötzlich hast du den völlig reduzierten Raum, wo Du nur in Dich selbst hineinschauen kannst, um mit der Gruppe klarzukommen. Das ist schon eine utopische Situation.

Dies ist genau dasselbe Experiment wie die Kommune 1 in Berlin, 1967. Indem wir als erste daran viele Menschen über die Medien teilhaben ließen, konnten sich auch sie außerhalb der Kommune mit in den Zustand der Aufregung und der Grenzüberschreitung versetzen. Die Kommune 1 war eine selbstverordnete Vorform des sozialen Nullraums, den jetzt Big Brother allabendlich neu demonstriert. Das Medium kann dann selbst zum Schrittmacher werden, denn es erfährt die Aufladung durch die vielen Augen, die es anschauen. So entsteht eine synergetische Beschleunigung, die die Virtualisierung der Gesellschaft vorantreibt, in der wir uns derzeit alle befinden. Deshalb ist es auch gut, daß die Lebensmittel, der Tabak, die Duschzeiten in der zweiten Staffel beschränkt sind. So wird simuliert, daß wir nur überleben können, wenn wir die knappen Ressourcen in einem ständigen, komplexen, genauen Verhandeln mit uns selbst und mit den anderen sinnvoll verteilen – und dadurch den wahren Reichtum an sozialen Erfahrungen vermehren.

Anders als die Medienberichte über die Kommune 1 behaupteten, gibt es in Big Brother so gut wie keinen Sex. Walter und Ebru mußten aus ihrem Paarversuch eine Unterstützungsfreundschaft machen. Es gibt eigentlich keine Pärchenbildung: Als sich Karim und Daniela fanden, gingen sie. Das durch die Enge bedingte ständige Verhandeln im Container macht Zweierverhältnisse, also privatisierende Besitzverhältnisse, unmöglich. Sex sowieso, denn der braucht bisher eine durch Privatheit abgesicherte Intimität. Es könnte aber sein, daß den Bewohnern irgendwann bewußt wird, daß Intimität auf der Offenheit mit anderen beruht – nicht auf Privatsphäre. Und neue Intimität wird dadurch entsexualisiert. Big Brother ist ein jedermann zugängliches Trainingsmodell für die atomisierten jungen Individuen. Zunächst nur im Fernsehen, aber schon gestützt durch das Internet. Das Internet ist ohnehin die perfekte Simulation des 68er Gefühls – eines globalen, gemeinsamen Gefühls, das letztlich Liebe war – und das wir exemplarisch in der Kommune 1 dem ganzen Land vorlebten. Big Brother nimmt diese Suche nach dem erfüllten, dem guten Leben auf.

Es gibt dabei natürlich Entwicklungsungleichzeitigkeiten. So fühlen sich die Frauen subjektiv schlechter, als sie sich objektiv fühlen könnten, vor allem die Älteren. Doch auch sie sind auf dem Weg zum ‚neuen Menschen‘: Der verhandelt zuerst mit sich selbst und dann davon ausgehend mit allen anderen. Damit erarbeitet er sich Aufmerksamkeit, das neue Geld, und ist reich an Vernetzungen – und daher lern- und überlebensfähig.

Auch unsere älteren Frauen, der ‚Harem‘ akkumuliert seit Jahrzehnten in Fortsetzung der Kommune 1 wechselseitiges Aufmerksamkeitskapital – und ist nun bereit, damit an die Börse, also ins Fernsehen zu gehen. Die Containerisolation ist für uns unnötig, da wir, wie damals in der Kommune, den großen Aufmerksamkeitsmarathon geübt haben, auf den sich zunehmend die ganze Gesellschaft begibt.


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23 Nov. 2002 13:56 #25873 von Roqui
Roqui antwortete auf DIETER
oh, manchmal bin ich direkt über die substanz meiner postings erschrocken!!!!

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